Bericht zur Study Tour 2024 nach Brüssel

 

Brüssel ist das politische Zentrum der EU und der NATO. Wer die Brüsseler Sprache entschlüsseln kann und die Interessen der Kommission kennt, versteht, wie das Parlament tickt. Wer die Interessen der NATO-Mitgliedstaaten im Blick hat, der versteht Europa. Dafür muss man nicht nur die Institutionen kennen, sondern auch die Gesichter dahinter. Wer vertritt Deutschland in der EU? In der NATO? Wer kümmert sich um die wesentlichen Fragen unserer Zeit wie die Unterstützung der Ukraine, Desinformation und den Klimawandel, sowie seine (sicherheits)politischen Konsequenzen?

Um die Personen und Institutionen transparent zu machen, führte die Study Tour der deutschen Sektion von Women in International Security (WIIS.de) dieses Jahr erneut nach Brüssel. Ziel von WIIS ist es, Frauen, die in der Außen- und Sicherheitspolitik tätig sind, miteinander zu vernetzen. WIIS gründete sich 1987 in Washington, D.C. Die deutsche Sektion wurde 2003 von May-Britt Stumbaum, Gudrun Schattschneider, Maria Th. Hugo, Dorothee Müller-Lankow und Elisabeth Hauschild gegründet. Heute hat WIIS.de knapp 800 Mitglieder und ist ein lebendiges Netzwerk mit Regionalgruppen in Berlin, Hamburg, München, Leipzig und im Rheinland. 

An der Study Tour nach Brüssel nahmen 27 Frauen teil, die sehr unterschiedliche Blickwinkel und Interessen einbrachten. Von der Industrievertreterin, über die Ministeriumsmitarbeiterin und Journalistin hin zur Mitarbeiterin im deutschen Parlament waren über alle Altersgruppen hinweg viele Berufsgruppen vertreten. Allen gemein war ein hohes Interesse an politischen Themen, vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik, auch, aber nicht nur, mit Blick auf die Belange von Frauen. 

Die besuchten EU-Institutionen und Vertreter*innen: 

  • Der Ständige Vertreter Deutschlands in der EU, Botschafter Thomas Ossowski, Arbeitsbereich Außen- und Sicherheitspolitik
  • Besuch im Europäischen Parlament bei MEP Sergey Lagodinsky (Die Grünen/EFA) 
  • Das Haus der europäischen Geschichte
  • Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA), Generalmajor André Denk, Deputy Chief Executive
  • Die EU-Kommission, Generaldirektion European Neighbourhood Policy and Enlargement Negotiations (DG NEAR), Adrienn Kiraly, Direktorin des Fachbereichs Östliche Nachbarschaft und Aufbau von Institutionen (NEAR.C)
  • Der Europäische Auswärtige Dienst, Dr. Benedikta von Seherr-Thoss, Managing Director for Peace, Security and Defence 

Die besuchten NATO-Institutionen und Vertreter*innen:

  • Abendessen mit Generalleutnant Wolfgang Wien, Deutscher militärischer Vertreter bei der NATO, organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung
  • Dr. Benedetta Berti, Head of Policy Planning Office im NATO-Hauptquartier
  • Botschafter Boris Ruge, Assistant Secretary General for Political Affairs and Security Policy im NATO-Hauptquartier
  • Heidi Reisinger, Presseabteilung im NATO-Hauptquartier
  • Lunch in der NATO-Kantine mit WIIS@NATO, WIIS-Mitglieder, die im NATO-Hauptquartier tätig sind, organisiert durch Mona Köhler-Schindler, WIIS-Mitglied & Staff Officer Climate Security NATO-Hauptquartier

Die besuchten Stiftungen und weitere Institutionen:

  • Das ARD-Studio, Christian Feld, stellvertretender Studioleiter 
  • Friedrich-Naumann-Stiftung: Paneldiskussion gemeinsam mit dem European Policy Centre zu „Rolle und Einfluss von Frauen im und nach dem Krieg, Lessons Learned aus der Ukraine“ 
  • Happy Hour bei der Friedrich-Ebert-Stiftung mit WIIS Brussels
  • POLITICO, Stuart Lau, Korrespondent NATO und Europa-China

Tag 1

Der erste Termin der Study Tour war gleich ein hochkarätiger: Die WIIS-Gruppe hatte die Gelegenheit, mit Botschafter Thomas Ossowski aus der Ständigen Vertretung Deutschlands in der Europäischen Union (EU) zu sprechen. Dabei war die Rolle der EU als Akteur in der globalen Sicherheitsarchitektur, der „Strategische Kompass“, die Frage nach „europäischen Streitkräften“ und militärischer Mobilität Thema.

Der Anschlusstermin führte die Gruppe ins Studio der ARD in Brüssel, bei dem der stellvertretende Leiter Christian Feld Einblicke in die Arbeit der Journalist*innen vor Ort gab. Es gab eine lebhafte Diskussion über die Entwicklung in der Medienbranche, allen voran mit Blick auf die Dynamik von Sozialen Medien, wie beispielsweise das Verbreiten von Desinformationen oder das Phänomen TikTok im Zusammenhang mit Stimmungen und Wahlen, sowie die Frage der Verantwortung von Medien in der heutigen Zeit. 

Im Haus der Europäischen Geschichte hatte die Gruppe die Möglichkeit, sich interaktiv mit der Entstehungsgeschichte der EU, von der Wirtschaftsunion bis zur heutigen Union der Mitgliedstaaten, auseinanderzusetzen.

Im Anschluss konnten die Study-Tour-Teilnehmerinnen mit dem Europaabgeordneten Sergey Lagodinsky, dessen Themen Desinformation durch Russland und China in der EU sind, über Desinformation und die anstehenden Europawahlen sprechen. Anschließend gab es eine Führung in den Plenarsaal des Parlaments - der hauptsächlich für Veranstaltungen und Delegationsbesuche genutzt wird, da die eigentlichen Plenarsitzungen nach wie vor in Straßburg stattfinden.

Den Abschluss bildete ein Dinner mit Generalleutnant Wolfgang Wien in den Räumlichkeiten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel. Wolfgang Wien ist quasi der militärische Counterpart zu Thomas Ossowski, vertritt Wien doch die Interessen Deutschlands in der NATO. Themen des Abends waren maßgeblich der russische Angriffskrieg sowie andere drohende Konflikte wie der zwischen China und den USA und die daraus resultierenden Notwendigkeiten für Deutschland.

Tag 2

Gestärkt mit typischer Verpflegung wie einem Café au Lait und Pain au Chocolat, stand der zweite Tag der Study Tour unter der thematischen Fragestellung „Erweiterung = Erweiterte Sicherheit?“ und führte die teilnehmenden Damen auch an diesem Tag zu verschiedenen Akteur*innen und Gesprächspartner*innen im politischen Brüssel. Geprägt war dieser Tag unter anderem durch die Frage der Personalpolitik Deutschlands für die EU und die NATO.ine wiederkehrende These während der Gespräche des Tages war, dass im Vergleich zu anderen EU-Ländern, Deutschland zurückhaltender ist, wenn es darum geht, sein Personal strategisch auf Posten bei der EU und NATO zu entsenden. Dem gingen die Teilnehmerinnen in verschiedenen Fragen und Gesprächen untereinander nach. 

Los ging der Vormittag bei der Europäischen Verteidigungsagentur mit dem Gesprächspartner Generalmajor André Denk, der seit Februar 2023 deren stellv. Generaldirektor ist. Den Teilnehmerinnen gab er zunächst eine kurze Einführung in sein Tätigkeitsfeld und ging dabei vor allem auf die Perspektive der EDA als Innovationstreiberin in der EU, den Capability Development Plan und die Rolle der EDA ein. 

Im Anschluss an die Europäische Verteidigungsagentur ging es weiter zu den Räumlichkeiten der Friedrich-Naumann-Stiftung, welche den Veranstaltungsort für eine publikums-offene Podiumsdiskussion (hybrider Policy-Dialog) zum Thema „Rolle und Einfluss von Frauen im und nach dem Krieg, Lessons Learned aus der Ukraine” bot. Veranstaltet wurde dieses interaktive Format durch die Stiftung selbst und das European Policy Center. Das hochkarätig besetzte Panel umfasste (in keiner besonderen Reihenfolge) die folgenden Teilnehmerinnen: Anna Vilhjalmsdottir (WPS Advisor, NATO), Jonna Naumanen (Senior Advisor to the EU Ambassador for Gender & Diversity, EEAS), Olena Rozvadovska (Founder of Voices of Children), Olga Tokariuk (OSUN Academy Fellow, Chatham House), Maria Martisiute (Policy Analyst, European Policy Centre) und Gemma Pörzgen (Editor-in-Chief „Ost-West. Europäische Perspektiven“). Neben Themen wie „Women, Peace and Security“ und einer Betrachtung der Perspektive von geflüchteten ukrainischen Frauen sowie die Wahrnehmung der Gesellschaft dieser Gruppe machten besonders der offene Raum für Publikumsfragen das Format zu einem lebhaften Austausch. An dieser Stelle sei eine Aussage besonders hervorgehoben - „Gender Equality is our best defense.“ - dies meint, auch neben einer quantitativen oder numerischen Betrachtung, etwa wie der Einbindung von Frauen in die Verteidigungsstrukturen zur Erhöhung der aktiven Soldat*innen in einem Land oder der Reserve, dass Geschlechtergerechtigkeit auch „smart defense“ und somit grundsätzlich das Richtige ist. Dies verdeutlicht, dass neben der Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz,Verteidigung grundsätzlich ganzheitlich gedacht werden muss.  

Der erste Nachmittagstermin führte die WIIS-Gruppe zu POLITICO Brüssel. Über die Bedeutung von Medien in der Sicherheitspolitik wurde in den Räumlichkeiten von POLITICO mit NATO-Korrespondent Stuart Lau gesprochen. Lau wurde von den Teilnehmerinnen ebenso zu Themen EU-China wie zu Fragen der Nutzung von Online Medien oder auch zur Frage des Informationsvorsprungs und des Wahrheitsgehalts während Pressekonferenzen und Hintergrundgesprächen befragt. 

Als Nächstes durften die Teilnehmerinnen der Study Tour an diesem Nachmittag die EU Kommission und ganz spezifisch die Räumlichkeiten von DG NEAR für ein Gespräch mit Adrienn Kiraly, Direktorin des Fachbereichs Östliche Nachbarschaft und Aufbau von Institutionen (NEAR.C), besuchen. Im Gespräch und im Verlauf der Nachfragen wurden die Themen „backsliding“ und auch die Herausforderung von organisierter Kriminalität thematisiert. Im Lichte des Tagesthemas „Erweiterung = Erweiterte Sicherheit?“ zeigte dieser Termin den Teilnehmerinnen deutlich, welche Herausforderungen, Hürden und Hindernisse sich bei Fragen der Erweiterung und Nachbarschaftszusammenarbeit aus Perspektive der EU stellen können. 

Am Nachmittag des zweiten Tages der Brüssel-Tour stand ein Termin bei dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) auf der Agenda. Dr. Benedikta von Seherr-Thoss, Managing Director for Peace, Security and Defence und Krisenreaktion beim EAD und selbst WIIS-Mitglied, informierte die Gruppe zu ihrem Tätigkeitsfeld. Das Format des Austauschs ermöglichte zudem den Raum für Fragen zur EU-Weltraumarchitektur, „Capability in Outer Space“ sowie Erläuterungen der Interoperabilität in aktuellen Zeiten. Gleichzeitig unterstrich dieser Termin und die Diskussion mit von Seherr-Thoss für die Teilnehmerinnen grundsätzlich die Bedeutung der EU als wichtigen Akteur in der Sicherheitspolitik in Europa und außerhalb. 

Der Abend des zweiten Tages endete in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in einem gemeinsamen Format von WIIS.de und WIIS Brussels. Nach einer Einführung durch die Leiterin der FES Brüssel Frau Christiane Kesper gab es Impulsvorträge als „Food for Thought“ von Mitra Bücke-Jahromi (Vorstand WIIS.de) und Mona Köhler-Schindler (WIIS Brussels), die ihre Erfahrungen und schönsten Erinnerungen von WIIS teilten. Der Abend bot Raum für offene bilaterale Gespräche und fruchtbaren Austausch über die verschiedenen WIIS-Chapter und interdisziplinären Hintergründe hinweg. 

Mit einer bunten Mischung aus Formaten, Möglichkeiten und einer breiten Themenvielfalt endete der zweite Tag der Study Tour zu später Stunde. 

Tag 3

Am dritten und letzten Tag stand für viele das Highlight der Study-Tour an: ein Besuch im NATO-Hauptquartier. Gleich zu Beginn führte Dr. Benedetta Berti, Leiterin des Policy Planning Offices des Generalsekretärs, die Gruppe in die strategische Neuausrichtung des Verteidigungsbündnisses seit Ende des Kalten Krieges ein: von der Fokussierung auf Abschreckung und Verteidigung gegenüber der Sowjetunion hin zu asymmetrischen Bedrohungen, beispielsweise durch Terrorismus und Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, ebenso wie der Kampf gegen die Folgen des Klimawandels, Krisenmanagement und Peacekeeping. Einen weiteren Themenschwerpunkt bildete der strategische Wettbewerb mit Russland, China, Iran oder auch Nordkorea.

Nach einer kurzen Fotosession vor den Logos der NATO und einem Besuch des hausinternen Coffeeshops begrüßte Boris Ruge die Teilnehmerinnen. Ruge, ehemaliger deutscher Botschafter, bekleidet nun das Amt als Assistant Secretary General for Political Affairs and Security Policy und ist damit der ranghöchste deutsche NATO-Mitarbeiter in Zivil. Die Diskussion fokussierte sich wie bereits in den ersten beiden Tagen der Study-Tour auf den Krieg in der Ukraine und die Handlungsspielräume von NATO und EU.  

Einen tieferen Einblick in die Strategie der NATO im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels gab Mona Koehler-Schindler, Staff Officer für Klimasicherheit. Dabei waren sowohl die globalen Sicherheitsbedrohungen durch den Klimawandel wie beispielsweise Vertreibung, Menschenschmuggel und Ressourcenkonflikte, die letztendlich die Rekrutierungsversuche terroristischer Organisationen umso erfolgreicher machen, durch Hitzewellen und Dürren sowie die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks der militärischen Missionen und Projekte Thema.

Der Umgang mit Desinformationskampagnen dominierte auch die Diskussion mit der letzten Inputgeberin Heidi Reisinger. Als Mitarbeiterin des Pressestabes der NATO gab sie wertvolle Einblicke in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bündnisses.

Ein abschließendes Mittagessen mit den WIIS-Frauen der NATO bot die Möglichkeit eines persönlichen Austauschs über die Arbeit im Hauptquartier des Verteidigungsbündnisses. Dabei wurde die wichtige Rolle von Frauen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hervorgehoben und die Bedeutung der „Women, Peace and Security“ (WPS)-Agenda der Vereinten Nationen für die Arbeit der NATO unterstrichen.

Abschluss

Studienreisen wie diese sind eine einzigartige Gelegenheit, die führenden Figuren in Brüssel, dem politischen Zentrum der EU und der NATO, kennenzulernen. 

Diese Tour bot 27 Teilnehmerinnen aus verschiedenen Berufsfeldern Einblicke in die EU- und NATO-Institutionen. Die Teilnehmerinnen sind ausnahmslos wichtige Multiplikatorinnen für diese Institutionen. 

Highlights der Reise gab es viele, einige sind hier noch einmal zu betonen: Die Tour begann mit einem Treffen mit Botschafter Thomas Ossowski, Deutschlands Ständigem Vertreter in der EU, der über die EU-Initiativen im Bereich der Sicherheitspolitik wie den Strategischen Kompass und militärische Mobilität sprach. Im ARD-Studio informierte Christian Feld über die Herausforderungen der Medien in Zeiten von Desinformation. Im Haus der Europäischen Geschichte erhielten die Teilnehmerinnen interaktive Einblicke in die EU-Entstehung. Der EU-Abgeordnete Sergey Lagodinsky thematisierte Desinformationen durch Russland und China. Generalleutnant Wolfgang Wien betonte bei einem Dinner die Bedrohung durch Russland und den möglichen Konflikt zwischen China und den USA. Am zweiten Tag sprach Generalmajor André Denk bei der EDA über die Rolle der Institution und die Beschaffung von Munition für die Ukraine. Bei einer Podiumsdiskussion der Friedrich-Naumann-Stiftung wurde die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit in der Verteidigungspolitik hervorgehoben. Ein Besuch bei POLITICO Brüssel ermöglichte den Austausch über Medien in der Sicherheitspolitik. Adrienn Kiraly von der EU-Kommission sprach über die Herausforderungen der EU-Erweiterung. Der Tag endete mit einem Networking-Abend bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Der Höhepunkt war für viele aber der Besuch im NATO-Hauptquartier. Dr. Benedetta Berti, Leiterin politische Planung im Büro des Generalsekretärs, erläuterte die strategische Neuausrichtung der NATO, und Boris Ruge, Assistant Secretary General for Political Affairs and Security Policy, warnte vor den wirtschaftlichen Folgen einer Niederlage der Ukraine. Mona Koehler-Schindler sprach über die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks militärischer Missionen, und Heidi Reisinger informierte über Maßnahmen gegen Desinformationskampagnen.

Ein abschließendes Mittagessen mit WIIS-Frauen der NATO zeigte in lockerer Atmosphäre die Bedeutung der WPS-Agenda der Vereinten Nationen.

Die Study Tour bot tiefgehende Einblicke in die EU- und NATO-Arbeit und verdeutlichte die Herausforderungen der europäischen Sicherheitspolitik und die Rolle von Frauen darin. Sie stärkte das WIIS.de-Netzwerk und förderte den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Frauen in der internationalen Sicherheitspolitik.

 

Die Veranstaltung wurde mit Unterstützung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung durchgeführt.