Auch zwei Jahre nach der Annexion der Krim ist hybride Kriegsführung weiterhin im sicherheitspolitischen Fokus. Zudem erscheint eine perspektivische Lösung des langanhaltenden bewaffneten Konflikts in Syrien und Irak in Anbetracht der enormen Anzahl beteiligter staatlicher und nicht-staatlicher Akteure weiterhin ungewiss. Die dadurch bedingten Flüchtlingsbewegungen sowohl in den unmittelbaren Nachbarländern bis hin nach Europa stellen in erster Linie eine humanitäre Herausforderung dar. Gleichzeitig haben sie sicherheitspolitische Implikationen und erfordern verstärkte internationale Kooperation. Zur Debatte stehen zudem die Auswirkungen des Brexit auf die europäische Sicherheitsstruktur, insbesondere die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Aufmerksamkeit gilt zudem, zunehmend auch aus der sicherheitspolitischen Perspektive, der spezifischen Betroffenheit von Frauen in Kriegs- und Krisensituationen, der Beteiligung von Frauen in Friedensprozessen und ihrer Bedeutung für die Stabilität einer Gesellschaft im Wiederaufbau.

 

Vom 1. bis 4. November 2016 hatten die 20 Teilnehmerinnen der WIIS.de Studytour 2016 die Möglichkeit, diese Themen-felder mit hochkarätigen Gesprächspartnerinnen in Brüssel zu diskutieren und dabei fachlich in Austausch zu kommen, ihre Expertise sichtbar zu machen, sich zu vernetzen und neue Ko-operationen zu schaffen. Gesellig  bei crême brulée und foie gras begann die WIIS.de Studytour 2016 mit einem gemeinsamen Abendessen im Herzen Brüssels. Die u.a. aus Delhi, Beirut und Berlin angereisten Teilnehmerinnen nutzen den Abend für einen ersten fachlichen und persönlichen Austausch und zeichneten sich dieses Jahr besonders durch eine breite Expertise, große Diversität und Offenheit aus.

 

Europäische Außen- und Sicherheitspolitik: zwischen Brexit, Grenzsicherheit und Flüchtlingspolitik

Zum ersten inhaltlichen Programmpunkt war die Damen zu Gast in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union. Nach einem kurzen Überblick zum Stand der Außen-und Sicherheitspolitik der EU mit Fokus auf Migration von WIIS-Mitglied Inger-Luise Heilmann, Mitarbeiterin bei MdB Dr. Andreas Nick, führten Flottenadmiral Jürgen Ehle, Vorsitzender der Arbeitsgruppe des Militärausschusses der Europäischen Union, und Oberst Holger Koch, in die Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesrepublik bei der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ein. Sie sprachen von einer spürbaren Dynamisierung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Grund dafür sei vor allem das veränderte Sicherheitsumfeld sowie die Implikationen des anstehenden Ausscheidens Großbritanniens aus der EU. Zudem rücktdie neue EU Global Strategy für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, unter dem Titel Shared Vision. Common Action. in den Vordergrund, die es nun zu operationalisieren und zu implementieren gelte. Um die konkreten Fortschritte in der Umsetzung ging es auch in der anschließenden Diskussion, sowie um die Frage, mit welchen Kompetenzen, Kapazitäten und Instrumenten sich die EU im aktuellen außenpolitischen Umfeld einbringen kann und wie sich dabei die Zusammenarbeit mit der NATO gestaltet. Moderiert wurde die lebhafte Diskussion von Ulrike Borrmann, Attaché beimAuswärtigen Amt.

Am Abend wurde die WIIS-Damen in der Vertretung der Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel durch den Büroleiter Dr. Markus Ehm begrüßt. Trotz des intensiven Programms über Tag stieg WIIS-Mitglied Julia Weigelt, Fachjournalistin für Sicherheitspolitik, frisch in die Moderation des hochrangig besetzten Panels zum Thema Border Security within and outside of the European Union ein. Die NATO war auf dem Podium durch Dr. Stefanie Babst, Chief Strategic Policy Analyst to the Secretary-General and Chairman of the Military Committee, vertreten. Die wirtschaftliche Perspektive nahm Jeffrey Franks, Direktor des Büros Brüssel des Internationalen Währungsfonds ein. Ebenso brachte Eugenio Ambrosi, Regionaldirektor EU, Norwegen und Schweiz, Internationale Organisation für Migration, seine Expertise in die kontroverse Diskussion ein, die von den unterschiedlichen Blickwinkeln der drei Expertien sowie der Studytour-Teilnehmerinnen profitierte. Die Diskussion wurde per Livestream auf Facebook übertragen wurde und am im Laufe der folgenden Woche über 300 Mal aufgerufen.

Zu den Herausforderungen politischer Analyse im Kontext europäischer Außenpolitik stellte Dr. Cemal Karakas, Policy Analyst, die Arbeit des erst 2015 ins Leben gerufenen European Parliament Research Service (EPRS) vor. Neben Analysen für Abgeordnete des EU-Parlaments, erstellt der EPRS auch Antworten auf Bürgeranfragen. Besonders interessant waren die Themen, zu denen am häufigsten Anfragen von Bürgern gestellt wurden - für die erste Jahreshälfte 2016: Migration, der EU-Türkei-Deal, der Brexit und die Terroranschläge in Europa – und eine positive Überraschung war, wie zahlreich die Fragen der Bürgerwaren, trotz der so häufig angeführten Europamüdigkeit.

Im NATO-Hauptquartier: Security Challenges – The Road Ahead

Nachdem die Teilnehmerinnen der Studytour am kalten Novembermorgen im NATO-Hauptquartier eingetroffen war, führten WIIS-Mitglied Michaela Kauert, Studentin der Friedens- und Konfliktforschung, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, und WIIS-Mitglied Bettina Mitzkat, Studentin der Politikwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität, mit einem kurzer Warm-up zur Struktur der NATO und den aktuellen sicherheitspolitischen Spannungsfeldern in das Tagesthema Security Challenges – The Road Ahead ein.

Im ersten Panel fassten Oberst i.G. Thomas Köhring, stv. Leiter Militärpolitik und Silke Riecken-Därr, stv. Leiterin Politik bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der NATO, die Ergebnisse des Warschauer Gipfels zusammen und zeigte Implikationen für die deutsche Sicherheits-und Verteidigungspolitik auf. Dabei thematisierte Oberst Köhring die erhöhte Präsenz der NATO in den östlichen Bündnispartnern zur Rückversicherung dieser sowie den Beitrag der NATO zur Stabilisierung der südlichen Nachbarschaft im Nahen Osten durch Ausbildungsmissionen unter dem Leitsatz Projecting Stability. Rieke Dörr ging auf den zweigleisigen Ansatz von Abschreckung und Dialog im Verhältnis zu Russland und die verstärkte EU-NATO Kooperation ein.

Oberst i.G. Dirk Rogalski, Leiter des Dezernats NATO Cooperative Security, Logistics, Armament and Ressources und Major i.G. Katharina Benford, Dezernentin im Dezernat EU Operations and Missions, die beiden nächsten Panelisten, waren erfreulicherweise auch beim ersten Panel präsent. In der Diskussion ergänzten sich deshalb die Blickwinkel der politischen und militärischen Abteilung sowie die der Teilnehmerinnen in sehr fruchtbarer Weise, sodass sich die engagierte Debatte, moderiert von WIIS-Mitglied Sarah Pagung, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., bis in die Pause hineinzog.

Im Anschluss gab Oberst Rogalski einen Überblick zu internen und externen Sicherheitsherausforderungen in einem veränderten Sicherheitsumfeld, das von Unsicherheit und Instabilität sowie dem Verwischen der Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit geprägt sei. Major Benford stellte versiert die Ziele der bekannten, aber oft falsch eingeordneten EU NAVFOR MED Operation Sophia vor und erklärte, in welchen Bereichen die NATO unterstützt. Es moderierte WIIS-Mitglied Pia Seyfried, Assistentin des Vorstands Women in Internal Security e.V.

Beim gemeinsamen Mittagessen im NATO-Hauptquartier bot sich den Teilnehmerinnen die Möglichkeit sich mit den Referenten informell weiter auszutauschen.

Nach der Mittagspause stellte Michael Rühle, Leiter des Bereiches Energiesicherheit, Abteilung neue Sicherheitsherausforderungen, die besonderen Charakteristika von hybrider und Cyber-Warfare heraus, die es so schwierig macht, festzustellen, ob die Schwelle des Art. 5 Nordatlantikvertrag überschritten ist. Michael Rühle fasste die Herausforderung mit einem Zitat von Warren Buffett zusammen: „Predicting rain doesn’t count. Building arks does.“ Moderiert von WIIS-Mitglied Isabel Sarasin, Auswärtiges Amt, wurden der Ansatz der NATO, den neuen Sicherheitsherausforderungen zu begegnen, darunter Maßnahmen um die Resilienz der Bündnispartner zu stärken, sowie offene Fragen im Feld hybrid warfare und cyber defence diskutiert.

 

Zur Notwendigkeit von Diversität in der Sicherheitspolitik

Die Studienreise bot allen Teilnehmerinnen die Möglichkeit, einen tieferen Einblick in die Perspektiven von Frauen in der Sicherheitspolitik zu bekommen. Als Rahmen hierfür dienten die faszinierenden Gespräche untereinander, gemeinsam mit einigen Vorträgen und Diskussionsrunden. Interessant dabei waren vor allem die diversen Perspektiven auf das sicherheitspolitische Geschehen sowie die unterschiedlichen beruflichen Werdegänge aller Beteiligten.
Bereits am ersten Tag, nachdem der Vormittag den sicherheitspolitischen Herausforderungen der EU im Hinblick auf die Zunahme der Migration gedient hatte, konnten wir am Nachmittag einen Einblick in die Erfahrungen von sicherheitspolitisch aktiven Frauen gewinnen.

Im Rahmen einer internen Gesprächsrunde stellten uns zwei der Teilnehmerinnen ihre Arbeit in international tätigen Organisationen vor und regten die folgenden Konversationen mit ihren persönlichen Eindrücken zum Themenschwerpunkt Migration im Rahmen der EU Sicherheits- und Außenpolitik und insbesondere auch zu den Vorträgen des Vormittags an.

WIIS-Mitglied Alischa Kugel berichtete von ihrer Arbeit in der Analyseabteilung des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, dessen Mandat die Beobachtung von Friedensprozessen weltweit ist, aktuell unter anderem auch in den USA. Auf Grundlage dieser Expertise unterhält das ZIF eine beratende Kooperation mit dem Auswärtigen Amt und es werden in diesem Zusammenhang neue Leitlinien für das Konfliktmanagement erarbeitet.

Nach diesem politiknahen Einblick bereicherte WIIS-Mitglied Tanja Carbone die Gesprächsrunde mit einem Bericht von ihrer Arbeit für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Beirut, Libanon. Dies war besonders im Hinblick auf den Themenfokus Migration interessant und ergänzte die Vorträge des Vormittags, insbesondere in Bezug auf die Bekämpfung der Fluchtursachen und die Verbesserung der Konditionen in den Aufnahmeländern.

Auf den Einblick in die Arbeit von WIIS-Mitgliedern in der Sicherheitspolitik folgend wurde in einem Vortrag der Direktorin von UN Women in Brüssel, Dagmar Schumacher, die Genderperspektive auf die EU Entwicklungspolitik beleuchtet. Insbesondere legte sie einen Fokus auf das erfolgreiche Einbringen des Gendermainstreaming in alle Ziele der Agenda 2030 und den daraus resultierenden EU Gender Action Plan for External Action. Die UN und die EU kooperieren verstärkt im Rahmen des Memorandum of Understanding von 2012 und dem darauf aufbauenden Recommitment von 2016 um die Gleichstellung und das Empowerment von Frauen zu fördern.

Unter der Moderation von WIIS-Mitglied Janika Walter vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und WIIS-Mitglied Annkatrin Kaiser vom Mercator Programm Center for International Affairs führten, die Teilnehmerinnen, mit Dagmar Schumacher eine angeregte Diskussion über ihre Arbeit.

Am folgenden Tag wurden die gewonnenen Eindrücke aus diesen Begegnungen durch einen Vortrag mit anschließender Diskussion mit der NATO Sonderbeauftragten für Frauen, Frieden und Sicherheit, Marriete Schuurman, ergänzt. Als Botschafterin der Niederlande konnte sie einen einmaligen Eindruck von der Arbeit hochrangiger Mitarbeiterinnen in der Außen- und Sicherheitspolitik vermitteln. Innerhalb der NATO befasst sie sich derzeit vorwiegend mit der Umsetzung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats.

Bei der an den Vortrag anschließenden Diskussion, die durch Karina Siegmund von der Airbus DS Optronics GmbH moderiert wurde, hat Marriete Schuurman Erfahrungen aus ihrer Berufslaufsbahn mit den Teilnehmerinnen geteilt und ihnen den folgenden Ratschlag zur beruflichen Weiterentwicklung im sicherheitspolitischen Umfeld gegeben: „Trust your unique personality“. 

Partizipation von Zivilgesellschaft und Think Tanks in der Sicherheitspolitik

Nach den interessanten Eindrücken aus den praktischen politischen Aktivitäten der NATO und EU gab es zwei Beiträge zur Partizipation der Zivilgesellschaft und von Think Tanks in der Sicherheitspolitik, exemplarisch dargestellt durch die Arbeit der NGO EastWest Insitute und des Think Tanks Carnegie Europe.

Zunächst berichtete Kawa Hassan, der Direktor des MENA Programms des EastWest Institutes von der friedenspolitischen Arbeit der Organisation in Brüssel, bei der eine Reduktion der internationalen Konflikte angestrebt wird. Er beleuchtete dies insbesondere an aktuellen Projekten in der MENA Region, in der sich diverse Parteien mit der Bedrohung durch den so genannten Islamischen Staat auseinander setzen sowie mit dem Post-ISIS-Szenario in Syrien und im Irak.

Unter der Moderation von WIIS-Mitglied Britta Petersen, die Senior Fellow bei der Obsever Research Foundation (ORF) ist, bot sich den Partizipierenden der Studienreise die Möglichkeit gezielte Fragen zu der Arbeit der NGO zu stellen und mehr über die Projektarbeit der Organisation in Afghanistan zu erfahren. Annie Cowan, die zuständige Koordinatorin des Afghanistan Programms beim EastWest Institute, gab aufschlussreiche Auskünfte über die Tätigkeiten in diesem Bereich und den Ansatz der Organisation möglichst viele Konfliktparteien in den Dialog zu involvieren.

In dem Bereich der politikberatenden Organisationen wurde die Perspektive der Zivilgesellschaft durch eine rein wissenschaftliche ergänzt. Nachdem von Carnegie Europe während der ersten Vorträge des dritten Tages der Studienreise bereits großzügig Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt wurden, hatten die Teilnehmerinnen nun auch endlich die Möglichkeit, sich näher mit den Inhalten des Think Tanks auseinander zu setzen.

Die stellvertretende Leiterin von Carnegie Europe, Lizza Bomassi, berichtete von der Arbeit des europäischen Ablegers des US amerikanischen Think Tanks Carnegie Endowment in Brüssel, und den Vorteilen und Herausforderungen, die diese Verbindung für das wissenschaftliche Arbeiten in der EU-Hauptstadt darstellt. Abschließend ging sie, unter der Moderation von WIIS-Mitglied Nicole Birtsch, der Referentin für Afghanistan bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), eingehend auf alle Fragen ein.

Fazit: Inspirierende Eindrücke für die berufliche Perspektive

Wie bereits in den vorigen Jahren hat die Studytour viele bleibende Eindrücke bei allen Teilnehmenden hinterlassen. In einer abschließenden Evaluation vor Ort in Brüssel waren sich alle einig, dass die gemeinsamen Erlebnisse eine große Inspiration für die berufliche Perspektive dargestellt haben und zudem hoffentlich längerfristige Kontakte geknüpft werden konnten. So war mit der Auswahl der Teilnehmerinnen eine heterogene und harmonische Mischung entstanden, aber auch die eingeladenen Gäste konnten einen vielfältigen Einblick in die unterschiedlichsten Bereiche bieten.

Diese sehr erfolgreiche Reise ist besonders den ehrenamtlichen Organisatorinnen Tanja Kilper, Johanna Meier und Lisa Scholz zu verdanken, die einen rundum gelungenen Ablauf ermöglicht haben. Der Dank aller Teilnehmerinnen gilt auch dem Bundespresseamt, ohne dessen großzügige finanzielle Unterstützung die Reise nicht möglich gewesen wäre.

Die entstandenen Eindrücke wurden live und im Anschluss eingehend von den WIIS-Mitgliedern Julia-Henriette Bräuer, Media Analyst, Europäische Kommission, und Janika Walter, Referentin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die zusammen das Social Media Team bildeten, dokumentiert. WIIS-Mitglied Selina Peter, Master-Studentin Comparative and Middle East Politics and Society, Universität Tübingen, ergänzt diese Arbeit mit einem Film, in dem sie eindrucksvolle Momente eingefangen hat. So bleiben insgesamt vielfältige Eindrücke der Studienreise bestehen und über die Dauer des Aufenthalts in Brüssel hinaus wurden Kontakte geknüpft und Frauen inspiriert sich weiterhin in allen Bereichen der Sicherheitspolitik einzubringen.

Reisebericht: Cordelia Moore & Frauke Maas